Bundesligareform: Leipzig sieht Rassismus – oder geht es doch nur um Jugendarbeit?
- Rugby-News Team
- vor 7 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag
Hintergrund
Es ist wieder einmal so weit: Im deutschen Rugby herrscht dicke Luft. Diesmal ist es der ScoreBonus, der die Gemüter erhitzt. Doch was genau steckt hinter dieser Regelung?
Der ScoreBonus wurde eingeführt, um Vereine zu belohnen, die auf langfristige Jugendarbeit setzen. Ab der nächsten Saison darf ein Team pro Spieltag höchstens 20 Punkte haben. Die Punktevergabe erfolgt nach folgenden Kriterien:
Ein Spieler, der im eigenen Verein ausgebildet wurde, bringt -1 Punkt.
Ein Spieler, der in Deutschland ausgebildet wurde, bringt 0 Punkte.
Ein Spieler, der für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt ist, aber nicht in Deutschland ausgebildet wurde, bringt 1 Punkt.
Ein Spieler, der weder in Deutschland ausgebildet wurde noch für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt ist, bringt 2 Punkte.
Als in Deutschland ausgebildet gilt ein Spieler, wenn er mindestens fünf Jahre zwischen seinem 12. und 21. Lebensjahr im deutschen Rugby aktiv war.
Auf der einen Seite steht der Rugby Club Leipzig, der die Regelung als integrationshemmend und unzeitgemäß kritisiert. Auf der anderen Seite der Vorsitzende des Rugby-Bundesliga-Ausschusses, Niko Colic, der im Rugby-News-Gespräch betont, dass die Maßnahme eine längst überfällige Stärkung der Jugendarbeit darstellt. Es ist eine klassische Debatte, wie sie im deutschen Rugby so typisch ist: viel Emotion, wenig Verständigung – und das Ganze öffentlich ausgetragen.

Vorwürfe aus Leipzig
Der Rugby Club Leipzig kritisiert in einem offenen Brief den ScoreBonus als diskriminierend. Der Verein betont, dass der ScoreBonus vor allem Vereine benachteilige, die eine Vielzahl internationaler Spieler in ihren Reihen haben. Gerade in Leipzig, einer Stadt mit hohem Migrationsanteil, sei dies problematisch.
Der RCL sieht durch die Regelung die Integrationsarbeit des Vereins gefährdet. Viele Spieler, die nicht in Deutschland ausgebildet wurden, erhielten durch die Regelung weniger Chancen auf Wettkampfeinsätze. Dies könne dazu führen, dass Spieler mit Migrationshintergrund oder aus dem Ausland strukturell benachteiligt werden. Zudem kritisiert der Verein, dass die Regelung den internationalen Charakter des Rugby-Sports untergrabe und junge Talente abschrecken könnte.
Weiterhin bemängelt der RCL, dass die Umsetzung des ScoreBonus nicht ausreichend transparent gewesen sei. Er fordert mehr Mitspracherechte und eine offene Diskussion über die sportpolitischen Ziele hinter dieser Maßnahme.
Antwort von Niko Colic, Vorsitzender des RBA
Niko Colic, Vorsitzender des Rugby-Bundesliga-Ausschusses, betont im Rugby-News-Gespräch, dass der ScoreBonus nicht im Widerspruch zur Integrationsarbeit stehe. Vielmehr sei die Maßnahme darauf ausgelegt, die nachhaltige Entwicklung des deutschen Rugbys zu fördern, indem die lokale Jugendarbeit gestärkt werde.
Die Regelung orientiere sich an der Ausbildungszeit der Spieler im deutschen Rugby zwischen dem 12. und 21. Lebensjahr, unabhängig von deren Nationalität oder Herkunft. Ziel sei es, Anreize zu schaffen, junge Talente frühzeitig in die Vereinsstrukturen einzubinden und langfristig an die Vereine zu binden.
Rechtlich sei die Maßnahme fundiert, denn ähnliche Konzepte zur Nachwuchsförderung wurden bereits vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in anderen Sportarten bestätigt. Auch stehe die Regelung im Einklang mit der UN-Antirassismuskonvention.
Ein häufiges Missverständnis sei, dass der ScoreBonus die Herkunft der Spieler berücksichtige. Tatsächlich gehe es jedoch ausschließlich um die Ausbildungszeit in Deutschland. Auch Spieler mit Migrationshintergrund oder aus Krisenregionen wie Syrien oder der Ukraine können von der Regelungprofitieren, wenn sie früh genug nach Deutschland gekommen sind und hier ausgebildet wurden.
Die bisherige Regelung der Rugby-Bundesliga sah vor, dass mindestens zehn Spieler pro Spieltag für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt sein müssen. Diese Regelung basierte auf Staatsbürgerschaft und Herkunft, während die neue Regelung den Fokus auf die Ausbildung legt. Damit wird laut Colic die bisherige Herkunftsregelung aufgehoben und durch eine systematische Nachwuchsförderung ersetzt.
Zudem soll der ScoreBonus schrittweise bis 2033 angepasst werden, sodass die Vereine ausreichend Zeit haben, ihre Jugendarbeit anzupassen und weiterzuentwickeln. Diese langfristige Planung soll sicherstellen, dass die neue Regelung nicht abrupt eingeführt wird, sondern mit Bedacht und ausreichender Vorbereitungszeit.
Beschlossen wurde der ScoreBonus am Deutschen Rugby-Tag 2025 durch eine klare Mehrheit (mit als 58% Anm. d. Red.) der stimmberechtigten Mitglieder, betont Colic. Dieser demokratische Prozess zeige, dass die Entscheidung von einer breiten Basis getragen wird.
Kommentar vom Rugby Maul: Der ewige Rugby-Streit – typisch deutsch?
Man könnte fast lachen, wenn es nicht so traurig wäre: Kaum wird eine neue Regelung beschlossen, die tatsächlich mal etwas in Bewegung bringt, schon geht das große Klagen los. Als wäre es nicht schon schwierig genug, Nachwuchs für den Rugbysport zu gewinnen, scheinen einige den Sinn des ScoreBonus regelrecht misszuverstehen.
Der Deutsche Rugby-Tag hat abgestimmt. Da könnte man denken, die Sache sei geklärt. Aber nein, im deutschen Rugby wird lieber noch ein bisschen nachgetreten, ein bisschen geklagt, als ob die Welt davon abhängen würde. Die Regelung ist schlicht ein Appell an die Vereine: Kümmert euch um eure Jugend! Bildet sie aus, bindet sie ein – und profitiert davon. Es geht nicht darum, Deutsche zu bevorzugen, sondern darum, den Nachwuchs zu fördern, unabhängig von Pass und Herkunft.
Das Problem ist, dass gerade Vereine, die stark auf im Ausland ausgebildete Spieler setzen, sich durch diese Neuausrichtung in ihrer Praxis hinterfragt fühlen. Und anstatt das Potenzial dieser Veränderung zu erkennen, schießt man lieber scharf zurück. Dabei könnte man sich auch einfach fragen: Warum nicht mal den Weg einschlagen, der Jugendarbeit ernsthaft stärkt?
Ja, es mag unbequem sein, ja, es mag Arbeit bedeuten. Aber wenn Rugby in Deutschland eine Zukunft haben soll, müssen wir uns daran gewöhnen, auch mal langfristig zu denken. Und vielleicht wäre es mal an der Zeit, diese öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten zu lassen. Rugby lebt von Teamgeist – wäre schön, wenn wir das auch abseits des Feldes mal hinbekämen.
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